www.individuelle-lernförderung.de
www.individuelle-lernförderung.de

(7) Herausschälen der dominierenden Problemkreise

Der Anfertigung des Strukturbildes im Schritt 6 folgt als Schritt 7 eine „Wesentlich-Analyse“, die sich mit der Frage beschäftigt: Was sind die dominierenden Problemkreise? 

 

Müssen immer alle Schritte ausgeführt werden? Das ist nicht immer notwendig. Manche Schritte können implizit erfolgen. Das heißt, sie sind als Bestandteil in anderen Schritten inbegriffen. So kann man die Problemkreise herausarbeiten, ohne zuvor ein Strukturbild angefertigt zu haben. Das hängt davon ab, wie differenziert Ihr bereits vorhandenes Bild ist. Vielleicht kann man andererseits auf den Schritt 7 verzichten, weil die dominierenden Problemkreise bereits im Strukturbild unmittelbar sichtbar werden.

 

Zum Begriff "dominierende Problemkreise": Dominierend sind jene Problemkreise, die in der weiteren Förderung unbedingt berücksichtigt werden müssen, weil Fortschritte im Lernen sonst nur schwer erreichbar sind.

 

Oft ergeben sich ein bis drei Problemkreise (im Sinne von "Baustellen für positive Lernsituationen"). Das ist der Übergang zu Schlussfolgerungen für die Gestaltung der Lernbedingungen.

Beispiele für Problemkreise, die in der Regel ineinander verflochten sind:

Zu basalen Kompetenzen:

  1. Besonderheiten in bestimmten Teilfunktionen der Sinnestätigkeit, Wahrnehmung, Bewegungssteuerung oder Lateralität erschweren die Lernprozesse. Prozesse in einzelnen Wahrnehmungsbereichen, in der Fein- oder Grobmotorik oder in der Bewegungssteuerung wirken sich in den aktuellen Lernprozessen hemmend aus, weil eine Kompensation bisher nicht ausreichend gelungen ist.
  2. Dem Denk- oder sprachlichen Niveau wird im Unterricht zu wenig Rechnung getragen, sodass der Lernende nicht gut mitarbeiten kann. Rückstände in Basiskompetenzen des Denkens oder der Sprache wirken sich hemmend und einengend auf die Lerntätigkeit aus.
  3. Wichtige soziale und Selbstkompetenzen, die vom Unterricht und im Klassenleben vorausgesetzt werden, sind schwach ausgebildet, was sich hemmend auf die kooperative Lerntätigkeit und die soziale Integration auswirkt. Der Schüler akzeptiert Einschränkungen nicht, ordnet sich nur schwer ein und beachtet Grenzen ungenügend. Unangepasste und störende Verhaltensweisen bewirken, dass der Schüler sich nicht ausreichend in gemeinsame Vorhaben und das kooperative Lernen einbeziehen lässt.

Zum Wissenserwerb in den Lernbereichen (fachspezifische Anforderungen)

Erhebliche Diskrepanzen zwischen Anforderungen und Kompetenzniveau behindern das Lernen in Lesen / Rechtschreibung / Mathematik / DaZ / Naturwissenschaften / Gesellschaftswissenschaften u.a. Lernziele wurden nicht erreicht, doch der Unterricht schritt trotzdem voran. Die Rückstände konnten nie geschlossen werden und häuften sich an (Kumulationsprozess). Die Lernschwierigkeiten vertiefen sich und breiten sich aus.


Zur Motivation

  1. Misserfolge und Schwierigkeitserleben haben dazu geführt, dass das Interesse an den Lerngegenständen, die Freude am Lernen und die Ansprüche an die eigenen Leistungen verloren gehen. Reaktive Verhaltensweisen (z. B. aggressive Reaktionen oder Weinen) sind möglich.
  2. Der Schüler neigt zu einem selbstunsicheren, ängstlich-zögerlichen Verhalten. Der Schwerpunkt kann in sozialen Hemmungen liegen, wobei der Schüler in der Kontaktaufnahme und -gestaltung sehr zurückhaltend ist. Liegt der Schwerpunkt mehr im Lernbereich, ist das Lernverhalten zögerlich und verunsichert.
  3. Konflikthafte Belastungen im Person-Umfeld (Beziehungsstörungen, verfestigte Schwierigkeiten in den Schüler-Schüler-Beziehungen, Mobbing) wirken sich hemmend auf die Lerntätigkeit aus. Die Lernmotivation wird durch soziale Probleme überlagert. Lernangebote gehen zu einem großen Teil an dem Schüler vorüber, weil er mit anderen Erlebnissen, Interessen und Wünschen beschäftigt ist, die ihn emotional beanspruchen.

Zur Handlungssteuerung

  1. Schwächen in den Lern- und Arbeitsgewohnheiten und der Ordnung. Der Schüler ist es nicht gewohnt, Arbeitsmittel bereitzulegen und Aufgaben Schritt für Schritt zu erledigen. Die Lerngewohnheiten fehlen nicht nur, es haben sich ungünstige Gewohnheiten eingeschliffen, die sich ungünstig auf den Lernerfolg auswirken.
  2. Hohe Ablenkbarkeit, kurze Konzentrationsspanne oder verminderte Belastbarkeit. Selbst kleine Ablenkungen kann der Schüler nur unzureichend abschirmen. Oder er ermüdet leicht und ist verhältnismäßig wenig belastbar. Dadurch werden Lernprozesse unterbrochen und nicht abgeschlossen. Ursachen können unter anderem in einer Krankheit, zu viel Fernsehkonsum, Schlafmangel, Bewegungsdefizit, ungesunder Lebensweise oder einem anhaltenden Stimmungstief bestehen.
  3. Für den Schüler ist eine impulsive Verhaltenssteuerung charakteristisch (ein Problem des Orientierungshandelns, das bei lebhaften und ebenso bei ruhigen Kindern auftreten kann). Er besitzt wenig geeignete Lernstrategien. Metakognitive Orientierung, Planung und Handlungsorganisation sind kaum zu erkennen. Das erschwert die Lernprozesse beträchtlich.

Die genannten Problemkreise wurden empirisch ermittelt (Matthes, 2018 u.a.). Es sind psychische Problemkreise. "Hinter ihnen" stehen ganz sicher Ursachen und Bedingungen im Person-Umfeld-Gefüge, in der bisherigen Entwicklung, im System Schule usw.

 

Diese komplexe, vielschichtige Bedingtheit ist jedem Praktiker bekannt. Und man kann die Frage stellen, weshalb in unserer Zusammenstellung Problemkreise der Unterrichtsführung, der Sozialbeziehungen in der Klasse, der Lebensbedingungen im Elternhaus, der organisatorischen und systemischen Bedingungen überhaupt fehlen. Die Antwort ist schlicht und einfach: Weil es keinen Sinn macht, die Analyseebenen zu vermischen, also das Psychische und die äußeren Bedingungen für das Psychische in einen Topf zu werfen.

 

Erst einmal müssen wir erkennen und auch beschreiben, welche Kompetenzen, Wissenslücken, Reaktionsweisen, Handlungsstrategien, Motivationslagen usw. bei dem Kind gegeben sind. Das ist die psychologische Ebene. Die Überlegungen, wie es dazu gekommen ist, dass das Kind in seiner Weise handelt und fühlt, und was geändert werden sollte, schließen sich an.

 

Wenn wir ein gutes Bild der psychischen Bedingungen entwickelt haben, können wir die richtigen Schlussfolgerungen ziehen, die sich auf die Verbesserung der Lern- und Lebensbedingungen richten und eine positive Lernsituation zum Ziel haben.