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(9) Generelle Schlussfolgerungen / Abstimmung zum Unterricht in allen Fächern

Der Punkt 9 beinhaltet allgemeine Schlussfolgerungen, noch nicht die spezifischen Förderziele und Maßnahmen, denen sich der Punkt 10 widmet. Spezifische Maßnahmen können nur dann Erfolg haben, wenn die Bedingungen insgesamt „stimmen“. Dafür sind Überlegungen zum Unterricht in allen Fächern und zu den allgemeinen zeitlichen, räumlichen, personellen und sozialen Lernbedingungen notwendig. Einige Fragen für solche Überlegungen:  Was kann getan werden, damit das Kind seine vorhandenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Stärken noch mehr als bisher anwenden kann? Welche Anforderungen müssen besser an die Lernausgangslage angepasst werden? Inwiefern sollte noch sensibler mit den emotional-motivationalen und sozialen Problemen des Kindes umgegangen werden? Was kann getan werden, damit das Kind sich besser konzentrieren kann (Strukturierungshilfen, Bedingungen für planvolle, systematische Lerntätigkeit)?

Zum wirklichen Besitz des Kindes wird der Erfolg spezieller Fördermaßnahme erst, wenn das Bedingungsgefüge insgesamt den gewünschten Entwicklungsprozess zulässt.

 

Nehmen wir an, ein Schüler solle lernen, sein Lernhandeln besser zu planen. Dazu gehören die gedankliche Strukturierung der Lernaufgabe, die Zeiteinteilung, das vorwegnehmende Durchspielen von Lösungswegen u.a.m. Deshalb nimmt die Sonderpädagogin den Schüler in ihre Lerntrainingsgruppe auf, in der sie ein erprobtes metakognitives Training durchführt. Hier übt der Schüler das Planen, schrittweise Vorgehen und die Selbstkontrolle. Sogar die Übertragung des Gelernten auf den allgemeinen Unterricht wird angeleitet. Die Zeichen stehen gut, bald kann der Schüler die im Training gelernten Fertigkeiten bei manchen Lernaufgaben im allgemeinen Unterricht anwenden.

 

Doch könnte er das auch, wenn viele Ablenkungsfaktoren wirken, er kognitiv überfordert wird oder sich in der Klasse ausgegrenzt fühlt? Ganz sicher nicht! Die Einflüsse, die von Überforderung, Ablenkungen oder sozialen Konflikten ausgehen, sind sehr stark. Sie würden sich durchsetzen und den Trainingserfolg zunichtemachen.

 

Dieses Beispiel lässt sich verallgemeinern. Ein spezielles Förderprogramm kann der Entwicklung von Mengenvorstellungen dienen. Die dadurch angebahnten Lernergebnisse müssen dann in normalen Unterricht abgerufen werden können. Sonst fiele der Schüler bald wieder auf das alte Niveau zurück.

 

Die Sonderpädagogin hatte mit kognitiv-verhaltenstherapeutischen Ansätzen gearbeitet und dafür gesorgt, dass das Kind seine Fähigkeiten erleben konnte. Neue, stärkende Lernerfahrungen waren angebahnt worden. Doch nun erleben wir leider gar nicht selten, dass ein solches Kind im schulischen Alltag wieder enge Grenzen zu spüren bekommt. Es kann den eben angebahnten und richtigen Glauben an seine Lernkompetenz nicht aufrechterhalten. Bald wird die früher etablierte Misserfolgsfurcht tiefer als jemals zuvor sein.

Das alltägliche Erleben ist in der Regel stärker als der Erfolg einer Fördermaßnahme. Die Arbeit an einzelnen Förderzielen ist unbedingt notwendig, aber sie kann immer nur den Anschub geben. Die Anwendung muss im Alltag, im Prinzip in jeder Unterrichtsstunde möglich sein.

 

Deshalb kann das Förderkonzept nicht bloß aus einzelnen Förderzielen und speziellen Programmen bestehen. Die Abstimmung zum Unterricht in allen Fächern und generelle Schlussfolgerungen sind mindestens ebenso wichtig. Ein heuristisches Hilfsmittel dafür ist das Förderquadrat. Anhand dieser allgemeinen Zielmatrix kann im Team erörtert werden, worauf in den einzelnen Fächern und anderen Bereichen mehr als bisher geachtet werden muss und wie die Schwerpunkte aufeinander abgestimmt werden sollen.

Das Kind                 

- wendet vorhandene Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten an (in jeder Unterrichtsstunde).

- sieht sich in keinem Lernbereich permanent Anforderungen ausgesetzt, die es nicht erfüllen kann.

- empfindet und entwickelt beim Lernen Motivation und Sinnempfinden.

- findet Bedingungen und Strukturen vor (didaktisch, zeitlich räumlich, personell), unter denen es, seinen Möglichkeiten entsprechend, Lernziele bilden und mitarbeiten kann.

Allgemeine Zielmatrix (Förderquadrat)

Das Förderquadrat nimmt das Lernhandeln in den Blick und nennt notwendige Voraussetzungen einer guten Lernentwicklung. Über die wissenschaftliche Grundlage können Sie sich auf der Unterseite zur Theorie informieren.

Wichtige Prüffragen zur Anpassung der Anforderungen im Regelunterricht und Ausnutzung der Lernzeit:
- Wird auf den geeigneten Schwierigkeitsstufen gearbeitet?
- Werden die individuellen Kompetenzen gesichert, die dieses Kind für die nächste Etappe benötigt?
- Gibt es in jeder Lerneinheit einen für das Kind sichtbaren Lernerfolg?
- Hat das Kind Möglichkeiten, zur Gruppenarbeit beizutragen?
- Werden die individuell notwendigen Lernanreize gegeben?
- Gibt es förderliche und schützende Lehrer-Schüler-Beziehungen?

Ohne kompensatorische Passungen des Lernangebotes und der Lernbedingungen sind weitere, sich aufschaukelnde Schwierigkeiten zu erwarten. Nach Kretschmann & Rose (2007) beinhaltet kompensatorische Passung, dass die Lehrerin

  • das Niveau der Anforderungen an die Lernausgangslage des Kindes anpasst,
  • die Arbeitsmittel an die Sinnesschädigung des Kindes anpasst,
  • dem Kind ausreichende Lernzeit zugesteht,
  • die Inhalte an die Interessen und Erfahrungen des Kindes anpasst bzw.
  • Kinder, die unkonzentriert arbeiten, dazu anleitet, planvoll und systematisch zu operieren,
  • sensibel mit emotionalen und sozialen Problemen des Kindes umgeht (Kretschmann & Rose, 2007, S. 62).

Kretschmann, R. & Rose, M.-A. (2007). Was tun bei Motivationsproblemen? Förderung und Diagnose bei Störungen der Lernmotivation.3. Auflage. Horneburg: Persen.

Die allgemeine Abstimmung beinhaltet auch die Erarbeitung langfristiger Ziele.

Weiterführende Hinweise:

Aus allgemeiner Sicht beschäftigt sich Wember mit Passungsmodellen (2007, S. 393 – 420, insbesondere S. 407 ff.).

Wember, F.B. (2007). Differenzierung des Unterrichts. In J. Walter & F.B. Wember (Hrsg.), Sonderpädagogik des Lernens. Handbuch Sonderpädagogik, Band 2 (S. 393-420). Göttingen: Hogrefe.

Im Handbuch "Förderkonzepte - einfühlsam und gelingend" wird die Arbeit mit Förderkärtchen geschildert.