„An den Stärken ansetzen! Die Stärken stärken!“ Diese Orientierung markiert einen Perspektivwechsel. Förderziele sollen sich nicht mehr vor allem darauf richten, bestimmte Defizite zu kompensieren und zu überwinden. Wir wissen heute: Ein Kind, dessen Stärken gesehen, geschätzt und gefördert werden, rückt in eine aktive Position. Das ist die Weichenstellung zur gelingenden Lernförderung, die selbstverständlich auch das Üben einbezieht.
Jedes Kind hat ein inhaltlich ausdifferenziertes Selbstkonzept. Wird dieses stark von Misserfolgserlebnissen im Unterricht geprägt, so sagt das Kind sich vielleicht abstrakt: Ich muss ganz viel üben, um meine Leistungsdefizite zu überwinden. Doch mit Energie versorgt wird eine Intention nur dann, wenn sie nicht durch lageorientierte Emotionen überflutet wird (was bei anhaltenden Misserfolgen der Fall ist).
Das primäre Ziel besteht darin, das Kind in positive Lernsituationen zu bringen. Das sind solche Lern- oder Anforderungssituationen, in denen das Kind zuversichtlich ist: Das kann ich schaffen; hier kann ich zeigen, wie gut ich bin. Positive Lernsituationen geben dem Kind den Raum, seine Stärken zu nutzen und sich ihrer immer besser bewusst zu werden.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir als Lehrkräfte ein Gefühl für die Stärken des Kindes entwickeln. Die Übersichten auf dieser Seite können dazu beitragen. Vergegenwärtigen wir uns zuerst, woran man Stärken erkennen kann:
Stärke ist mittlerweile in der Psychologie ein theoretisch geklärter Begriff: „Stärken sind persönliche überdauernde Muster von Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen. Sie sind individuell, geben Energie und ermöglichen beste Leistungen“ (Blickhan, 2015, S. 155; nach Biswas-Diener, 2010).
Dieser Definition zufolge sind Stärken keine fertigen Kompetenzen. Die Sicht auf Stärken ist ipsativ (nicht normativ, also nur relativ innerhalb einer Person, Ausblenden sozialer Vergleichsmaßstäbe). Wer in Kontakt zu seinen Stärken ist, fühlt sich wohl. Das kann man gut erkennen: Die Person ist lebendig, sie spricht klarer, zeigt mehr Ausdruck, sitzt bzw. steht aufrechter.
So verstandenen Stärken kommen wir auf die Spur, indem wir erkunden, wodurch die Person sich angesprochen fühlt und wofür sie sich interessiert: „Was tust du gern? Welche Tätigkeiten bereiten dir Freude?“ (Nicht: „Was kannst du gut?“). Kindern fällt etwas ein, wenn man sie zum Komplimente-Spiel auffordert. „Was magst Du an Melina?“ Kinder sind oft sogar sehr nahe an der Gefühls- und Beziehungsebene. Erwachsene denken oft eher fähigkeits- und kompetenzorientiert.
Die folgende Stärkenliste und eine Stichwortsammlung für Stärkengespräche können Ihnen vielleicht von Nutzen sein, wenn Sie über die Stärken eines Kindes oder Jugendlichen nachdenken.